Werner Bellwald im Interview mit der RZ

Werner Bellwald, Ausstellungsmacher im Gardemuseum Naters

«Früher waren die Zeiten überhaupt nicht besser»

Naters – Werner Bellwald ist Historiker aus Leidenschaft. Im Interview erzählt er, weshalb er gerne in abgeschotteten Archiven arbeitet, weshalb er zurzeit bis zu 15 Stunden täglich schuftet, und wie er an den roten Porsche im Gardemuseum kam.

Von Denise Jeitziner und Walter Bellwald

«Was ist an der Vergangenheit interessanter als an der Gegenwart?»
Nichts. Man meint oft, Historiker könnten mit der heutigen Zeit nichts anfangen und fänden die Vergangenheit nur deshalb spannend, weil sie vergangen ist. Das ist ein Irrtum. Mich interessiert, wie die Menschen früher ihr Überleben sicherten und sich in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen organisierten – und wie sie es heute tun.

«Waren die Zeiten früher besser?»
Nein, überhaupt nicht. Nie ging es uns besser als heute. Auch ältere Leute sagen mir oft, dass sie sich die früheren Zeiten auf keinen Fall zurückwünschten. Wenn all die Nostalgiker und Heimatromantiker, die vom offenen Feuer an der «Trächa» träumen, nur eine Woche in so einer Bude leben müssten, hätten sie die Nase gestrichen voll.

«Trotzdem investieren Sie viel Zeit in Dinge, die vorbei sind, arbeiten oft abgeschottet in irgendwelchen Archiven. Weshalb?»
Aus Neugierde. Es geht mir aber nicht nur um Vergangenes. Wer gute Kulturwissenschaft betreibt, vergisst die Gegenwart nicht. Wir zeigen zum Beispiel im Gardemuseum nicht nur die Gründungszeit der Garde um 1506, sondern auch aktuelle Filme, in denen junge Männer erzählen, weshalb sie in der Garde sind. Früher gingen viele, weil sie hier schlicht nichts zu essen hatten. Im Vatikan hatten sie ein Dach über dem Kopf und sogar eine Pension. Eine Art AHV – Jahrzehnte bevor es das in der Schweiz gab. Die heutigen Gardisten gehen nach Rom, weil sie einmal in einer Weltstadt leben wollen, um eine Auszeit zu nehmen oder auch wegen der hübschen Italienerinnen.

«Seit bald acht Jahren arbeiten Sie am Projekt Gardemuseum. Haben Sie langsam genug?»
Ich bin schon froh, dass es endlich fertig wird. Als wir 1998 mit dem Vorprojekt anfingen, hätte ich nie gedacht, dass es so lange dauern würde. Zwischendurch hatten wir grosse Durchhänger. Zwei, drei Jahre lief quasi nichts, weil die Politik nicht vorwärts machte und weil man keinen geeigneten Standort fand. Es gab viele Einflüsse von aussen, denen wir ausgeliefert waren.

«Trotzdem scheinen Sie mit Feuereifer bei der Sache»
Ja, das bin ich. Vor allem in den letzten ein, zwei Jahren investierten wir sehr viel. Entsprechend viel Herzblut steckt drin. Jetzt im Endspurt arbeiten wir bis zu 15 Stunden am Tag, damit die Ausstellung bis zum 11. November fertig wird.

«Warum ein Gardemuseum in Naters?»
Erstens stellte das Wallis in den letzten 200 Jahren kantonsmässig die meisten Gardisten. Zweitens ist Naters die schweizweit führende Gemeinde und drittens ist dieses Jahr das 500-Jahr-Jubiläum der Garde. In den letzten 20 Jahren versuchte man übrigens an mehreren Orten in der Schweiz, ein Gardemuseum zu realisieren. Immer erfolglos.

«Das Museum liegt mitten im Felsen, in der ehemaligen Festung der Schweizer Armee. Motiviert Sie diese Umgebung?»
Ja, die Hülle der Ausstellung finde ich richtig gut. Normalerweise engagiert man ja Stararchitekten wie Renzo Piano, die ein neues Museum bauen. Bei uns war im Zweiten Weltkrieg das damalige Militärdepartement der Bauherr (lacht).

«Wie viel hat das Museum gekostet?»
1,2 Millionen Franken. Die Loterie Romande, die Gemeinde, die Kulturkommission, die Stiftung für das Kulturzentrum Päpstliche Schweizergarde, Pro Patria, Raiffeisen und zahlreiche private Gönner haben das Geld zusammengebracht.

«Mit welchen Schwierigkeiten hatten Sie zu kämpfen?»
Eine Ausstellung will Emotionen wecken und Spannendes bieten, damit alle auf ihre Kosten kommen. Alte, Junge, geschichtlich Interessierte und an der Gegenwart Interessierte. Das schafft man aber nicht, wenn man bloss Uniformen und Hellebarden zeigt. Das Hauptproblem war also, andere Originalgegenstände zu bekommen. Doch die sind ja fast alle im Vatikan. Und von dort bekommt man nicht einfach so Material.

«Obwohl in Rom kein Zugriff möglich ist, hat es hier in den Ausstellungshallen aber ziemlich viele Originalgegenstände. Wie haben Sie das geschafft?»
Es sprach sich unter den Gardisten herum, dass in Naters ein Museum entsteht und dass wir auf der Suche nach Objekten sind. Und diesen März waren wir kurz in der Tagesschau, was auch einige Leute bewog, uns ihre Gegenstände anzubieten.

«Was ist Ihr Lieblingsgegenstand?»
Ich finde alle gut. Den kleinen Silberpokal von der 400-Jahr-Feier, die originale Papstmütze von Pius XII. oder der Fahrausweis einer Offiziersfrau aus den 50er-Jahren. Sie war übrigens die erste Frau, die im Vatikan Kinder gebar. Dieser Gegenstand ist mir besonders lieb, weil ich Yvonne de Balthasar persönlich kennen lernen durfte. Sie erzählte mir, sie habe sich damals gerne geschminkt und modisch gekleidet, was dem Gardekaplan missfiel, weil er fand, das sei viel zu modern. Es war eine schöne, menschlich wertvolle Erfahrung für mich, mit dieser Frau zu sprechen. Leider starb sie diesen Sommer.

«In der ersten Ausstellungshalle steht ein roter Porsche. Was hat es damit auf sich?»
Den habe ich vor zwei Jahren per Zufall in Rom entdeckt. Ich stand gerade mit ein paar Gardisten am St.-Anna-Tor, als plötzlich dieser rote Porsche mit vier Gardisten zum Tor hereinfuhr. Ich fiel fast um vor Freude, habe sofort den Besitzer kontaktiert und ihm gesagt, ich bräuchte den Porsche unbedingt für die Ausstellung. Doch er meinte, er könne ihn mir unmöglich überlassen, weil er ihn selbst noch ein Jahr brauche und sich ausserdem ein Kollege dafür interessiere. Am Ende hatten wir riesiges Schwein, dass der Gardekollege sich einen Töff zulegte und wir den Porsche kaufen konnten.

«Wie viel mussten Sie dafür hinblättern?»
Samt Vatikan-Nummernschild und Original-Spuren vom römischen Verkehr gerade mal 3000 Euro. Der Clou ist, dass man sich in den Porsche hineinsetzen und von dort aus einen Film über die Freizeit der Gardisten von damals und heute anschauen kann. Für einen Teil der Filmszenen sind wir mit dem Porsche durch Rom gefahren und haben vom fahrenden Auto aus gefilmt. Ausserdem sieht man Fotos einer Fasnachtsfeier von 1920 oder Strandschönheiten aus den 1930er-Jahren.

«Der Porsche als lebende Geschichte?»
Ja, das Auto könnte wahrscheinlich viele Geschichten erzählen. Zum Glück kann es nicht sprechen, vor allem die Rücksitze nicht (lacht herzhaft).

«Das Gardemuseum wird am 11. November eröffnet, Ihr Buch über die Walliser Industrie, an dem Sie mit einem Team von zehn Leuten sieben Jahre arbeiteten, ist kürzlich erschienen. Muss jetzt ein neues Grossprojekt her?»
Um Gottis Willn, nei! Äs ischt gnuäg! Es gibt jetzt nur noch Dinge, die liegen geblieben sind und die ich sorgfältig aufarbeiten muss. Die Uni Basel, wo ich einen kleinen Lehrauftrag habe, beginnt wieder und für die Kantonsmuseen Nidwalden in Stans steht eine Ausstellung an. Und ich wäre auch nicht böse, wenn es wieder mal Ferien gäbe.

«Als Präsident des Oberwalliser Heimatschutzes setzen Sie sich für die Heimat ein. Ihr Lötschentaler Dialekt könnte urchiger nicht sein. Dabei leben Sie doch noch gar nicht lange im Wallis?»
Nein, ich bin in Basel aufgewachsen. Mier kenne au Baaseldytsch schwätze. Erst Mitte der 1990er-Jahre kam ich eines Teilzeitjobs wegen vermehrt ins Wallis. Meine Eltern sind jedoch beide aus dem Lötschental und in den Ferien waren wir oft hier. Der Bezug zum Wallis war immer da.

«Wie war der Wechsel?»
Das war eine bewusste Entscheidung. Ich kannte ein paar Leute, bekam das Angebot, im Museumsbereich zu arbeiten und fand, jetzt versuche ich das mal. Hätte es nicht geklappt, wäre ich wohl sonst irgendwo arbeiten gegangen.

«Also sind Sie doch nicht besonders im Wallis beheimatet?»
Wenn man sich grundsätzlich dafür interessiert, was die Menschen tun, wie sie sich organisieren, wie Sie Lösungen auf verschiedene Probleme finden, dann kann jeder Ort Heimat sein. Wenn ich in Rom mit den Gardisten spreche, fühle ich mich genau so zuhause, wie wenn ich in Marseille Docker interviewe. An jedem Ort kann man etwas entwickeln, das spannend ist oder für das man sich einsetzen kann.

«Wofür setzten Sie sich ein?»
Für guten Heimatschutz. Das Problem ist, dass der Mensch noch nie soviel kaputt machen konnte wie heute, weil ihm so viele Mittel zur Verfügung stehen. Das sieht man an den Ortsbildern. Da wird alles schnell abgerissen, dann werden «Cremeschnitten» hingebaut, 10 Meter hoch, 20 Meter breit und danach wundert man sich, weshalb ein Ortsbild zerstört, gesichtslos, uninteressant geworden ist. Statt vorher zu überlegen und dann etwas anzupacken.

«Sind Sie gegen den Fortschritt?»
Ganz und gar nicht. Ich habe, um bei unserem Beispiel zu bleiben, nichts gegen moderne Architektur, im Gegenteil, ich befürworte sie. Sie muss einfach qualitativ hochstehend sein. Sicher sollen die Leute einen gewissen Komfort haben. Aber nicht jeder Schnickschnack ist nötig. Nicht nur beim Wohnen, auch zum Beispiel beim Handy: Alle wollen immer und überall und für alles erreichbar sein. Aber dass die Leute dadurch zu Sklaven der Kommunikation werden und kontrollierbar sind, merken viele nicht mal.

«Haben Sie ein Handy?»
Nein, ich habe eine Mailbox und einen Anrufbeantworter. zulegte und wir den Porsche kaufen konnten.

«Wie viel mussten Sie dafür hinblättern?»
Samt Vatikan-Nummernschild und Original-Spuren vom römischen Verkehr gerade mal 3000 Euro. Der Clou ist, dass man sich in den Porsche hineinsetzen und von dort aus einen Film über die Freizeit der Gardisten von damals und heute anschauen kann. Für einen Teil der Filmszenen sind wir mit dem Porsche durch Rom gefahren und haben vom fahrenden Auto aus gefilmt. Ausserdem sieht man Fotos einer Fasnachtsfeier von 1920 oder Strandschönheiten aus den 1930er-Jahren.

«Der Porsche als lebende Geschichte?»
Ja, das Auto könnte wahrscheinlich viele Geschichten erzählen. Zum Glück kann es nicht sprechen, vor allem die Rücksitze nicht (lacht herzhaft).

«Das Gardemuseum wird am 11. November eröffnet, Ihr Buch über die Walliser Industrie, an dem Sie mit einem Team von zehn Leuten sieben Jahre arbeiteten, ist kürzlich erschienen. Muss jetzt ein neues Grossprojekt her?»
Um Gottis Willn, nei! Äs ischt gnuäg! Es gibt jetzt nur noch Dinge, die liegen geblieben sind und die ich sorgfältig aufarbeiten muss. Die Uni Basel, wo ich einen kleinen Lehrauftrag habe, beginnt wieder und für die Kantonsmuseen Nidwalden in Stans steht eine Ausstellung an. Und ich wäre auch nicht böse, wenn es wieder mal Ferien gäbe.

«Als Präsident des Oberwalliser


Rhone Zeitung Nebenstehendes Interview gab Dr. Werner Bellwald am 9. November 2006 den RZ-Mitarbeitern Denise Jeitziner und Walter Bellwald.

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